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21.09.2004

Genmais: Nagende Zweifel

In heikler Mission trafen am 13.09.2004 Spitzenbeamte der für Gentechnik zuständigen Bundesministerien zusammen. Einmal mehr ging es um die grüne Gentechnik. Die stand auch im Mittelpunkt der größten internationalen Konferenz über Agrarbiotechnologie, die letzte Woche in Köln stattfand. Drei Tage lang schwärmte man dort von gentechnisch veränderten Pflanzen als Arzneifabriken. Derweil brüten die Beamten über eine zukunftsweisende Entscheidung: Wie soll sich Deutschland bei der EU-Abstimmung zur Zulassung von MON 863 verhalten?

Das Kürzel steht für eine gentechnisch veränderte Maissorte, der Gentechniker der Firma Monsanto Erbanlagen aus dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis (Bt) eingepflanzt haben. Damit kann die Pflanze ein Insektengift gegen die Larven des Wurzelbohrers bilden: Ein so genanntes Bt-Protein soll dem Maisschädling Nummer eins den Garaus machen. Weil der Käfer auf amerikanischen Maisplantagen zur echten Plage wird, soll Europa den Import der Genmaiskörner als Futtermittel "Made in USA" zulassen. Doch MON 863 ist in Europa zum Spielball der Politik geworden. Einmal mehr geht es um angebliche Gesundheitsrisiken durch den Verzehr von Gengemüse.  

„Statistisch signifikante” Unterschiede

Das Politikum begann, als Gerard Pascal, der Vorsitzende der "Commission Du Genie biomoleculaire" (CGB) des französischen Landwirtschaftsministeriums im vergangenen Herbst zufällig einmal ganze drei Tage Zeit hatte, um sich durch die Details eines mehr als tausend Seiten dicken Dossiers von Monsanto zu kämpfen. Darin hatten die Wissenschaftler der Firma eine neunzigtägige Fütterungsstudie ausgewertet. Auf Wunsch der Franzosen war MON 863 sowie eine Reihe verschiedener herkömmlicher Maissorten dabei an insgesamt 400 Ratten verfüttert worden, um zusätzliche Belege für die gesundheitliche Unbedenklichkeit von MON 863 zu liefern. Pascal aber stutzte. Im Fall von MON 863 fiel dem Experten erstmals in seiner langjährigen Karriere als Gutachter auf, dass sich die Zusammenfassung der Ergebnisse "nicht in Übereinstimmung mit den Daten im Hauptteil des Dossiers befand".

Pascals Augenmerk richtete sich daher auf viele auffällige, im Fachjargon "statistisch signifikant" genannte Unterschiede im Vergleich zwischen Ratten, die MON 863 gefressen hatten, und Tieren einer Kontrollgruppe, die genetisch fast identischen konventionellen Mais verspeisten. Die Daten, die dieser Zeitung vorliegen, belegen bei männlichen Ratten nach 14 Wochen einen "minimalen Aufwärtstrend bei der Zahl weißer Blutkörperchen im Vergleich zu den Kontrollgruppen". Bei den weiblichen Ratten fand sich die Zahl der Vorläuferzellen roter Blutkörperchen um bis zu 52 Prozent verringert. Auch war bei einigen Tieren der Blutglukosegehalt "leicht erhöht".

Verschiedene Anomalien in einem Organ

Besonders erstaunt war Pascal, dass die Nieren der mit Genmais gefütterten männlichen Nager im Durchschnitt um 7,1 Prozent leichter waren als die der Kontrolltiere. Die Organe zeigten zudem vermehrt auffällige pathologische Befunde, eine "geringere Mineralisierung" in den Nierenkanälchen und Anzeichen "lokaler chronischer Entzündungen". Das beunruhigte den Gutachter besonders, tauchten bei mit MON 863 gefütterten Ratten doch erstmals "mehrere verschiedene Anomalien in einem Organ auf".  

Die Zeitung Le Monde machte im April einige der Bedenken des CGB öffentlich. Sofort vermeldete Greenpeace, der Fütterungsversuch mit MON 863 habe "gravierende gesundheitliche Schäden ausgelöst". Die Experten der zuständigen European Food Standard Agency kamen dagegen nach hektisch anberaumten Beratungen zu einem anderen Schluss: Es bestünden weiterhin "keinerlei Sicherheitsbedenken".  

„Keine toxischen Effekte”

Seither herrscht öffentlich Verwirrung. Hinter den Kulissen aber geht der Biotech-Krimi längst in die nächste Runde. Auf Antrag des französischen CGB beauftragte Monsanto zwei unabhängige Pathologen damit, jede einzelne der nach dem Versuch konservierten Rattennieren erneut auf Schädigungen zu durchmustern - in einem Blindversuch an Gewebeschnitten, bei dem der Untersucher nicht weiß, welche Niere von welchem Versuchstier stammt. Das einhellige Ergebnis der Untersuchung der beiden renommierten Pathologen Gordon C. Hard und Andrea Terron liegt dem französischen Gremium seit kurzem vor. Das Fazit: Alle gefundenen Unterschiede bewegten sich im Rahmen der zu erwartenden, normalen biologischen Variationen bei Ratten diesen Alters. MON 863 induziere "keine toxischen Effekte in den Nieren von Ratten".  

Um sicherzugehen, hat Gerard Pascal nun auch diese 108 Seiten starke Analyse einem weiteren, ihm persönlich vertrauten französischen Pathologen zur Begutachtung übergeben. Am Dienstag letzter Woche sollte der seinen Bericht präsentieren. Je nach Ergebnis wird das Gremium dann die Zweifel als ausgeräumt betrachten oder eine neue neunzigtägige Fütterungsstudie verlangen. "Persönlich wäre ich zufrieden", verrät Pascal, "wenn der von uns konsultierte Pathologe keine Einwände mehr äußert."  

„Normale biologische Variabilität”

Dass damit die wissenschaftliche Kontroverse um den Genmais zu Ende geht, hofft Bruce Hammond, Leiter der Lebensmitteltoxikologie bei Monsanto in St. Louis. Die Beurteilung von Fütterungsstudien sei äußerst komplex, aus dem Zusammenhang gerissene Daten ergäben für Nichtfachleute keinerlei Sinn, sagt Hammond. Wären etwa in den männlichen Ratten Anzeichen einer echten Entzündung gefunden worden, wäre man sicher "hellhörig geworden", sagt er. "Aber das war eben nicht der Fall." Erst in der Gesamtschau aller Befunde und dem Vergleich mit allen Kontrollen werde deutlich, dass es sich bei den im Fütterungsversuch gefundenen Unterschieden um "normale biologische Variabilität" handele, um "statistisches Rauschen".  

Das wollen nicht alle glauben, zumal die komplette Studie bisher nicht öffentlich ist. Unabhängige Experten müssen da leider draußen bleiben - es sei denn, sie werden zu Geheimnisträgern. So begutachtet derzeit einer der schärfsten Kritiker der bisherigen Praxis der Fütterungsversuche die komplette MON 863 Studie - unter anderem im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz. Arpad Pusztai hatte im August 1998 weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als er am schottischen Rowett-Institut in Aberdeen als einer der ersten systematische Fütterungsversuche angestellt hatte - mit Genkartoffeln, denen ein Protein aus Schneeglöckchen verpflanzt worden war.

„Die Versuchskaninchen müssen wir im Labor finden”

Als er bei Ratten nach der Genkartoffeldiät auf subtile Veränderungen einiger Organgewichte gestoßen war und Verschiebungen der Immunfunktionen nachweisen zu können glaubte, zweifelte er im britischen Fernsehen an der damaligen Zulassungspraxis für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) - mit Billigung seines Institutsdirektors: Es sei unfair, die Konsumenten als Versuchskaninchen zu benutzen, sagte Pusztai wörtlich in einer BBC-Dokumentation: "Die Versuchskaninchen müssen wir im Labor finden."  

Zwei Tage später war der Rattenforscher seinen Job los. Von seinem eigenen Direktor wurde er als verirrter Forscher bloßgestellt und juristisch zum Schweigen verdonnert. Ihm wurden alle Drittmittel entzogen, sein Labor geschlossen und das alles angeblich deswegen, weil er über unveröffentlichte und unfertige Ergebnisse gesprochen habe. Da er seine nach heftigen Kontroversen im britischen Fachblatt Lancet publizierten Experimente nie wiederholen durfte, zieht Pusztai seither als Kritiker der GVO-Zulassungspraxis durch die Welt.

Behörden übten „nicht genug Druck auf Firmen” aus

Inzwischen lebt der Ungar in seiner früheren Heimat am Plattensee. Streitbar wie stets ist er derzeit als Gutachter zweier europäischer Behörden aktiv - in Sachen MON 863. Am Telefon mag er sich dazu zwar nicht äußern - er sei zur Vertraulichkeit verpflichtet worden. An der Qualität auch heutiger Fütterungsstudien lässt er jedoch kein gutes Haar. Die Firmen würden irrelevante Datenberge produzieren, die nur Verwirrung stifteten. In Wahrheit fehlten in den Dossiers meist immer noch feinmikroskopische Daten zum Verdauungstrakt, obwohl der zuerst in Kontakt mit dem Gengemüse käme.

Auch seien die getesteten Ratten meist schon zu alt, um minimale Wachstumsunterschiede zu entdecken, wie er sie damals gefunden habe. "Mit den verwendeten Tests können nur katastrophale Unterschiede entdeckt werden", sagt Pusztai. Aber die erwarte ja niemand, vielmehr gehe es um unerwartete, chronische Effekte. Die Behörden übten einfach "nicht genug Druck auf die Firmen" aus, mit neuen Methoden echte Antworten auf entscheidende Fragen zur Sicherheit gentechnisch veränderter Nahrungsmittel zu erhalten. An diesem Vorwurf dürfte etwas dran sein.  

Am 20. September kam nun für der Tag der Entscheidung in der EU über MON 863. Zumindest die zuständige Fachfrau im Bundesamt für Naturschutz wollte zur Sitzung "einige dicke Fragezeichen" einbringen. Wenn Pusztai pünktlich liefert.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2004, Nr. 37 / Seite 65


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